Angehörige von Krebstoten fordern Bestrafung eines Alternativ-Mediziners:
Prozeß um "Wunderheiler" Hamer
Angeklagter bezeichnet Vorwürfe als Lügen - Schlagabtausch
mit Staatsanwalt
Köln (AP) - Der Kölner Prozeß um den selbsternannten "Krebsheiler"
Ryke Geerd Hamer (Foto) hat am Mittwoch mit einem heftigen Schlagabtausch zwischen
dem Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und den Angehörigen von angeblichen
Hamer-Patienten begonnen. Der 62jährige Alternativ-Mediziner bezeichnete
am Mittwoch die gegen ihn erhobenen Vorwürfe des Verstoßes gegen
das Heilpraktikergesetz und der unterlassenen Hilfeleistung als "Non-Stop-Lügen".
Angehörige von Hamer-Patienten warfen dem Angeklagten dagegen Grausamkeit
und Scharlatanerie vor.
Staatsanwalt Jakob Klaas beschuldigte Hamer, 1995 und 1996 in vier Fällen
trotz des Entzugs der ärztlichen Zulassung Patienten behandelt zu haben.
Konkret hatte Hamer laut Anklage einem neunjährigen Jungen, der an Knochenkrebs
litt, geraten, lieber einen Spanien-Urlaub zu machen, als ins Krankenhaus zu
gehen. Einer 59jährigen krebskranken Frau habe er erklärt, Ursache
ihres Leidens sei ihr Lebensgefährte. Die Patientin müsse hier eine
Entscheidung fällen, statt ins Krankenhaus zu gehen. Bei einem 29jährigen
krebskranken Kölner soll Hamer schließlich sogar trotz Atemnot von
der Alarmierung des Notarztes abgeraten haben. Alle drei starben kurz darauf.
Beim vierten Fall handelte es sich um einen Journalisten, der sich mit einer
vorgetäuschten Erkrankung bei Hamer eingeschmuggelt hatte.
Der 62jährige Angeklagte, der mit zahlreichen Aktenordnern zur Verhandlung
erschien und im Gerichtssaal von Freunden und Bekannten begrüßt wurde,
bestritt all dies. Er habe die Ratsuchenden nicht behandelt, sondern lediglich
über die neue Medizin informiert. Im Fall des 29jährigen habe er selbst
zur Alarmierung des Notarztes geraten, da er von einer Lugenembolie ausgegangen
sei. "Ich bin doch nicht blöd, da in eine Falle zu laufen", sagte
er.
Verhandlung für Vortrag genutzt
Hamer nutzte den ersten Prozeßtag zu einem Seminar über seine Alternativmedizin.
Er lehnt die gängige Chemotherapie sowie Operationen im Kampf gegen den
Krebs ab und betrachtet Krebsgeschwüre als Folge starker psychischer Konflikte.
Nur durch die Lösung dieser Probleme würden die notwendigen Selbstheilungskräfte
des Körpers freigesetzt, die den Krebs besiegen könnten. Im Gericht
warf er Justiz und Wissenschaft vor, ihn zu verfolgen, statt die neue Medizin
zu überprüfen. "Heute sterben 700 Menschen in Deutschland an
Krebs, aber sie interessiert das ja nicht", warf er dem Staatanwalt vor.
Seine Äußerungen wurden von Änhängern im Publikum mit Beifall
begrüßt. Richter Wolfgang Hilgert drohte daraufhin, den Saal räumen
zu lassen.
Zwei Angehörige des verstorbenen 29jährigen krebskranken Kölners
warfen dem Wunderheiler dagegen bei ihrer Zeugenvernehmung Scharlatanerie und
Grausamkeit vor. Die 30jährige Schwester des Verstorbenen berichtete, Hamer
habe ihrem Bruder geraten, den Kontakt zu den Eltern abzubrechen, sich total
in sich zurückzuziehen und die Schmerzen auszuleben. "Schmerzen ertragen
und sich wie ein Tier zurückziehen, das kann ja wohl keine Lösung
sein. Er gehört bestraft", sagte sie. Ähnlich äußerte
sich der Vater des Toten.
Trotz Atemnot vom Notarzt abgeraten?
Beide betonten, Hamer habe den 29jährigen entgegen seiner Aussage vor Gericht
sehr wohl behandelt. Er habe zunächst festgelegt, daß der Krebskranke
keine Medikamente mehr nehmen solle und ihm dann später von einer Nürnberger
Ärztin Kortison verschreiben lassen. Am Todestag des Bruders habe Hamer
zunächst dazu geraten, trotz Atemnot noch mit dem Rufen des Notarztes zu
warten, sagte die Schwester. Doch mußte sie einräumen, dies wisse
sie nur vom Hörensagen.
Hamer war bereits 1993 wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz zu
einer Bewährungsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Damals hatte
er einen krebskranken Jungen illegal behandelt. International bekannt wurde
der "Heiler" allerdings erst, als er 1995 den Eltern des todkranken
österreichischen Mädchens Olivia Pilhar von einer medizinischen Behandlung
abriet und die Eltern sogar ins Ausland flüchteten, um ihrem Kind Operation
und Chemotherapie zu ersparen.
Urteil wird am Freitag kommender Woche erwartet.
Erst nach mehreren Monaten hatten sich die Eltern zur Rückkehr nach Österreich
überreden lassen. Olivia war dann doch noch operiert worden und ist nach
Angaben von Fachärzten vermutlich geheilt. Ihre Eltern wurden von einem
Wiener Gericht wegen fahrlässiger Körperverletzung und Verstoßes
gegen das Vormundschaftsgesetz zu je acht Monaten Gefängnis auf Bewährung
verurteilt. In Köln wird dieser Fall jedoch nicht verhandelt. Das Urteil
in dem Kölner Verfahren wird am Freitag kommender Woche erwartet.
Letzte Änderung: 21.08.1997 00:02